Der Weg des Christen

Die zwei fiktiven Gelehrten, Kyria Evodia, Freiheitskämpferin im Evangelium und Archonta Timotheus, welcher für einen Frucht-bringenden Glauben plädiert, diskutieren über Werke und die Freiheit des Christen.

Timotheus: Liebe Gemeinde, ich freue mich, euch meinen Standpunkt zu erläutern. Wie euch wohlbekannt ist, hat Gott uns erschaffen und die Bibel zeigt uns, dass er uns in Jesus zu guten Werken erschaffen hat, in welchen wir wandeln sollen. Er gibt uns die Kraft dazu. Er hilft uns, Gutes zu tun und damit seinen Willen zu erfüllen.

Evodia: Natürlich stimme ich zu, dass Gott uns erschaffen hat und dass nur durch ihn gute Werke überhaupt möglich sind. Aber wie du sicher weisst, verehrter Timotheus, hat Gott schon im Alten Testament das Prinzip der Freiheit eingeführt. Ein Beispiel von vielen ist das Erlassjahr, in dem alle 50 Jahre jede Schuld von allen Israeliten erlassen wird, und zwar ohne dass jemand etwas dafür tun musste. Was für ein passendes Bild für die Freiheit, die wir heute durch Jesus haben!

Timotheus: Das ist ein schönes Prinzip, welches wir da haben. Aber heutzutage leben wir im Hier und Jetzt unter dem neuen Bund und die alten Vorschriften der Israeliten haben keinen Einfluss mehr. Jesus ruft uns auf, im radikal nach zu folgen und Mitmenschen zu lieben und ihnen zu dienen. Unser auferstandener Herr sagt selbst im Matthäus-Evangelium: „Ich versichere euch: Was ihr für einen meiner gering geachteten Geschwister getan habt, das habt ihr für mich getan.“ Dies, meine liebe Evodia, hört sich doch danach an, als hätten Werke und Taten eine hohe Bedeutung.

Evodia: Halt, halt, da hat Jesus aber auch noch einige ganz andere Dinge gesagt. er hat von sich selbst gesagt, dass er mit dem Auftrag gesalbt wurde, den Armen die gute Botschaft zu bringen und den Gefangenen zu verkünden, dass sie frei sein sollen. Und im Johannes-Evangelium sagt Jesus, dass wir die Wahrheit erkennen werden und dass die Wahrheit uns freimachen wird. Und dass wir nur dann wirklich frei sind, wenn der Sohn uns frei macht. Er spricht so oft von Freiheit, weil er uns die Freiheit bringt!

Timotheus: Freiheit ist gut und recht, aber was ist mit den Früchten? Jesus spricht auch von Früchten und sagt, dass wir viel Frucht bringen, wenn wir bei ihm bleiben, siehe das Gleichnis mit dem Weinstock und den Reben. In der Bibel steht, dass Gott dadurch verherrlicht wird, indem wir Früchte bringen und seine Jünger werden. Ausserdem sehen andere Menschen unsere guten Werke und geben Gott die Ehre. Was für ein herrlicher Weg, das Königreich von Gott weiter zu bauen und mehr Menschen zu erreichen!

Evodia: Das Wichtigste aber ist, dass wir nicht müssen, sondern zur Freiheit berufen sind! Wie Paulus im Römerbrief schreibt: „Denn wenn du mit Jesus Christus verbunden bist, bist du nicht mehr unter dem Gesetz der Sünde und des Todes; das Gesetz des Geistes, der lebendig macht, hat dich davon befreit.“ Wir sind befreit, Hallelujah!

Timotheus: Und trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass Gott über alles was wir tun Gericht halten wird, wie es im Prediger steht. Und jeder wird das bekommen, was er für sein Tun auf dieser Erde verdient hat, sei es Gutes oder Schlechtes. Im Brief an die Hebräer steht, dass Gott nicht vergisst, was wir getan haben.

Evodia: Aber Bruder, Paulus schreibt doch im Galaterbrief, dass wir in allen Umständen an der Wahrheit des Evangeliums festhalten sollen und uns nicht von dieser Freiheit, welche Jesus uns brachte, abbringen lassen sollen. Nimm dir das zu Herzen!

Timotheus: Es steht Schwarz auf Weiss: Ohne Taten ist Glauben tot und nutzlos!

Evodia: Aber zur Freiheit hat uns Jesus befreit!

So ähnlich könnten sich früher oder auch heute Diskussionen zu den Werken und der Freiheit eines Christen abspielen. Reflektieren wir kurz darüber:

Entweder der Christ ist frei, geniesst das Leben und hat es schön hier. Gleichzeitig macht dieser Christ wahrscheinlich weniger, das heisst auch weniger gute Werke und beteiligt sich weniger aktiv. Natürlich kann Gott trotzdem durch diesen Christen wirken. Der Christ kann aber auch versuchen gute Werke zu tun. Er kann versuchen, Menschen von Jesus zu erzählen, in Spitälern für Kranke zu beten und in Gefängnissen Konzerte organisieren. Wenn der Christ dies tut, damit er gute Werke getan hat, wird er schnell keine Kraft mehr haben. Und die Wirkung seiner Werke wird nicht sehr stark sein.

Einerseits scheinen die Gedanken, gute Werke zu tun, um besser zu sein oder besser vor Gott oder Menschen zu wirken, ziemlich egoistisch zu sein. Andererseits scheint es aber ganz genauso egoistisch zu sein, die eigene Freiheit für sich selbst zu geniessen und die Welt sich selbst und der Sünde zu überlassen. Um aus diesem Dilemma zu kommen, holen wir kurz aus:

Stufen der Identitäts-Entwicklung in Christus

Warum «Stufen» der Entwicklung? Die Identitäts- und Charakterentwicklung kann man gut mit einer Treppe vergleichen, die ein Mensch emporsteigt oder auch auf bestimmten Stufen verweilt.

Bevor ein Mensch Jesus kennenlernt, definiert er sich meist über seinen Status, seinen Besitz, seine Freunde oder Familie, Rasse, Ethnie, Aussehen, Hobbies u.v.m. oder aber er ist suchend, da diese Dinge seine Identitätswahrnehmung nicht zufrieden stellen.

Irgendwann kommt hoffentlich der Moment, in dem ein Mensch erkennt, wie tief er gefallen ist. Wie wertlos, kraftlos, willenslos, voll von Sünde er ist. Das nennen wir Sündenerkenntnis und ich denke ohne Sündenerkenntnis ist es sehr schwer zu verstehen, was Jesus für uns getan hat. Für mich ist Sündenerkenntnis und die darauffolgende Hingabe zu Jesus die Geburt eines Christen. Ich weiss nicht, ob jemand ohne dies Jesus wirklich kennen kann.

In der nächsten Stufe lernt dieser Christ mehr und mehr über Gott und Jesus und beginnt oftmals, sein Leben anzupassen. Und hier kommt schon der Moment, bei dem sehr viele Christen stehen bleiben. Denn wenn wir hier versuchen mit Werken aus unserer Kraft unser Leben zu ändern, werden wir immer hier stehen bleiben. Oft erzählt aber der Christ in diesem Moment auch anderen von seiner Erkenntnis und kann Menschen gleich mit zu Jesus führen. Im Idealfall würde der Christ schon hier erkennen, dass das Wichtigste seine Beziehung zu Jesus ist und vollkommen da investieren. Und es gibt auch Christen, die das tun. Aber viele versuchen zuerst, sich selbst zu perfektionieren, im christlichen Sinn. Oft sehen sich Christen hier als «Diener», als «Sklave Gottes», als «Bote» für den Herrn u.ä.

Manchmal, nachdem ein Christ jahrelang hart geschuftet hat, um sich selbst reiner zu machen und hier und da Erfolge verzeichnen konnte, wird er müde, ausgelaugt. Vielleicht beginnen ihm, bestimmte Strukturen seiner Kirche nicht mehr zu gefallen. Vielleicht hinterfragt er die Absolutheit seines Glaubens. Manche Menschen kommen hier zu der richtigen Erkenntnis, dass sie nur mit Gottes Hilfe verändern werden können. Das befreit. Sie vertrauen dann oftmals auf Gott und finden eine neue Zufriedenheit im Glauben. Für die meisten Christen ist hier, oder eine Stufe vorher der Weg zu Ende. Entweder sie schuften an sich selbst bis an ihr Lebensende oder sie gewinnen «Freiheit» und wissen, dass Gott sie liebt, dass sie Gottes Kinder sind und sie im Frieden mit Gott sind, durch das Werk Jesu.

Oft ermutigen sich «freie» Christen dann ganz oft und bestärken ihre Identität. Es fallen oft Wörter wie «Tochter Gottes», «Prinz», «Königskind» und ähnliche.

Kann es denn jetzt noch weiter gehen? Interessant ist, dass bisher der Fokus auf dem Christen selbst war. Logisch, wenn es doch um Identität geht. Aber ich denke, es gibt noch zwei weitere Schritte zu tun, welche mehr mit dem Wort Selbstlosigkeit zu tun haben als mit Identität und dem Selbst. Es ist ja schon witzig, dass das das Wort eigentlich bedeutet «ohne Selbst». Ohne Selbst scheint auch zumindest an der eigenen Identität zu rütteln. Selbstlosigkeit ist ohne Zweifel ein heiliger und schöner Begriff, der sicher sehr viel Bedeutung hat, aber was bedeutet er eigentlich in der Realität, in meinem eigenen Leben, auf mich bezogen.

Jetzt wird es ein wenig schwierig, dem zu folgen was ich sagen möchte. Folgendes steht in der Bibel:

Seht doch, wie groß die Liebe ist, die uns der Vater erwiesen hat: Kinder Gottes dürfen wir uns nennen, und wir sind es tatsächlich! 1.Joh.3, 1

Aber es steht auch dies:

»Ihr wisst, dass die Herrscher über die Völker sich als ihre Herren aufführen und dass die Völker die Macht der Großen zu spüren bekommen. Bei euch soll es nicht so sein. Im Gegenteil: Wer unter euch groß werden will, soll den anderen dienen; wer unter euch der Erste sein will, soll zum Dienst an den anderen bereit sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben.« Matthäus 20, 25-28

In der Bibel stehen nach weltlichen Massen ziemliche Widersprüche, zum Beispiel dass wir zwar Gottes Kinder sind, aber auch dass der Höchste am meisten dient. Er sagt uns auch, dass wir unser Kreuz auf uns nehmen sollen und ihm nachfolgen.

»Wenn jemand mein Jünger sein will, muss er sich selbst verleugnen, sein Kreuz täglich auf sich nehmen und mir nachfolgen. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten. Was nützt es einem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen, wenn er dabei sich selbst ins Verderben stürzt oder unheilbar Schaden nimmt? Denn wer nicht zu mir und meinen Worten steht, zu dem wird auch der Menschensohn nicht stehen, wenn er in seiner Herrlichkeit und in der Herrlichkeit seines Vaters und der heiligen Engel kommt. Lukas 9, 23-26

Jesus deutet einige Male darauf hin, dass wir uns selbst aufgeben sollen.

Dass wir ihm alles geben sollen. Unsere Zeit, unsere Ressourcen und unsere Identität. Bei ihm verschmilzt die Dienerin und die Tochter Gottes. Der Sklave und der Prinz. Hier ist es versteckt, das Wort Selbstlosigkeit. Unser Selbst soll bei Gott sein, ausserhalb unserer Sichtweite. Es kann nicht definiert, angegriffen oder verletzt werden, wenn wir es vollkommen Gott überlassen. Wir richten den Blick nicht mehr auf uns selbst. Dann müssen wir nicht mehr Gott gefallen versuchen, mit guten Werken. Wir werden auch nicht mehr durch «falsche» oder unpassende Gemeindestrukturen verletzt. Es kommt aber etwas Schreckliches, Gefährliches hinzu. Denn Freiheit spielt für uns dann auch keine Rolle mehr, wenn wir nicht mehr auf uns selbst schauen. Endlich nicht mehr zu tun «müssen» hat auch keinen Platz, genauso wenig wie Werke um unser selbst willen.

Dies alles aber geht Hand in Hand damit, dass unser Wille eins mit Gott wird. Dass wir sozusagen keinen eigenen, unabhängigen Willen von Gott haben. Ich meine damit nicht, dass wir nicht gewisse freie Entscheidungen treffen, sondern dass wir nur noch Entscheidungen in Einheit mit seinem Willen treffen. Kennt ihr das Gefühl der Vorfreude, wenn man schon weiss, dass jemand anderes an etwas Freude haben wird? Einheit im Willen und in Freiheit stelle ich mir so vor. Die Liebe und Freude als vereinendes Element.

Nun, das Selbst ist jetzt nicht mehr in unserer Hand und der Wille ist nicht mehr unser eigener, was soll noch dazu kommen?

Für mich kommt jetzt erst der Schritt, den ich mit dem «Sichtbar werden der Söhne Gottes» verbinde, wie es im Römer 8, 19 steht. Nämlich das Brechen des Herzens über dieser Welt. In solcher Einheit mit Gott zu sein im Willen und ohne falsche Identität, ja ohne Gedanken an Identität, ist das die zwingende Folge. Unser Herz bricht über den Menschen dieser Welt. Und mit diesem Brechen passiert etwas Gewaltiges. Wir tun Werke. Nicht für uns selbst, sondern im gleichen Geist wie Jesus, der sich selbst hingegeben hat. Aus Liebe zu dieser Welt. Wenn unser Herz gebrochen ist, in Einheit mit Gott und ohne den Blick ständig auf mir selbst, dann wird die Schöpfung mit uns Erwachen und die Erde wird wieder hergestellt. Jesus ist für uns gestorben, damit unsere Schuld nicht mehr gerechnet wird. Und wenn wir mit ihm sterben und uns aufgeben, vollständig aufgeben, in Liebe und nicht im Werk, dann kommt ein Sturm über diese Welt, den nichts und niemand aufhalten kann. Der erste Schritt zum Christen ist die Erkenntnis, dass ich selbst gefallen bin. Und der letzte Schritt ist die Herzens-Erkenntnis, dass die Welt gefallen ist. In diesem letzten Schritt verlieren wir uns, sind aber vollkommen eins mit dem Vater, dem Sohn und dem heiligen Geist.

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